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Betriebsrat beim Personalgespräch: Wir müssen leider draußen bleiben

BAG, Beschluss vom 11.12.2018, 1 ABR 12/17

Dass man niemanden zu seinem Glück zwingen kann, gilt auch im Betriebsverfassungsrecht. So kann man jedenfalls die Entscheidung des BAG vom 11.12.2018 verstehen.

Hintergrund: Rahmenbetriebsvereinbarung

Was war passiert? Arbeitgeber und Betriebsrat hatten eine „Rahmenbetriebsvereinbarung zur Unternehmens- Organisations- und Personalentwicklung“ (nachfolgend „RBV“) geschlossen, in der auszugsweise Folgendes geregelt war:

„Zu Gesprächen, die im Rahmen des Prozesses zur Unternehmens- Organisations- und Personalentwicklung zwischen Geschäftsleitung, Abteilungsleitung und den Arbeitnehmern stattfinden, in denen es sich um disziplinarische (arbeitsrechtliche) Maßnahmen handelt, wird der Betriebsrat gleichzeitig zu Gesprächen eingeladen.

Unter disziplinarischen Maßnahmen verstehen wir:

– Ermahnungen
– Abmahnungen
– Verwarnungen
– Kündigungsbegehren
– Versetzungen

Der Mitarbeiter kann arbeitsrechtlich so entscheiden, dass er dieses Gespräch ohne Beteiligung eines Betriebsratsmitgliedes führen möchte.

Bei Nichtbeachtung der ordnungsgemäßen Einladung des Betriebsrates und des Arbeitnehmers hat das Gespräch keine arbeitsrechtliche Konsequenz.“

Weiter gab es eine Verfahrensregelung zu der RBV, nach welcher es Aufgabe des Betriebsrats war, die betroffene Mitarbeiter darüber zu informieren, dass ihnen das Recht zusteht, derartige Gespräche mit dem Arbeitgeber auch ohne Beteiligung des Betriebsrats zu führen. Soweit die Mitarbeiter von diesem Recht Gebrauch machen wollten, mussten sie dies durch Unterzeichnung eines entsprechenden Vordrucks zum Ausdruck bringen.

Zunächst verfuhr der Arbeitgeber entsprechend der Regelung in der RBV und lud den Betriebsrat zu den Gesprächen ein. Nach einiger Zeit stellte der Arbeitgeber diese Praxis allerdings ein. Der Arbeitgeber ging stattdessen dazu über, die betroffenen Mitarbeiter darüber zu informieren, dass sie nach Wunsch ein Mitglied des Betriebsrats zu dem Gespräch hinzuziehen dürften.

Der Betriebsrat forderte den Arbeitgeber sodann auf, ihn wieder zu den Gesprächen einzuladen; sich also an die Regelung aus der RBV zu halten. Als der Arbeitgeber dieser Aufforderung mit Hinweis auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Mitarbeiter nicht nachkam, versuchte der Betriebsrat sein Begehren gerichtlich durchzusetzen.

Dieser Versuch blieb letztendlich erfolglos, da das BAG das Begehren des Betriebsrats zurückwies. Dies begründete das BAG wie folgt:

Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Das BAG hielt die Pflicht den Betriebsrat zeitgleich mit den betroffenen Mitarbeitern zu dem Personalgespräch zu laden und auch das Prozedere, nach welchem die Mitarbeiter die Teilnahme eines Mitglieds des Betriebsrats ablehnen durften für unwirksam.

Diese Regelungen stellen nach Ansicht des BAG einen nicht gerechtfertigten Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Mitarbeiter dar. Arbeitgeber und Betriebsrat hätten beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen allerdings gemäß § 75 Abs. 2 S. 1 BetrVG

„(…) die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern.“

Das sich aus Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes ergebende allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse insbesondere auch die Befugnis jedes Einzelnen selbst darüber zu entscheiden, welche persönlichen Lebenssachverhalte offenbart werden sollen. Dies folge aus dem Gedanken der verfassungsrechtlich verankerten Selbstbestimmung.

Im konkreten Fall – so das BAG – würde allen Betriebsratsmitglieder durch die Einladung zum Gespräch bekannt, dass Vorwürfe eines Fehlverhaltens gegen den Mitarbeiter im Raum stünden. Auch könnten die Mitarbeiter, da die Einladungen gleichzeitig, verschickt würden, keinen Einfluss darauf nehmen, welche Betriebsratsmitglieder von diesem Umstand Kenntnis erlangen würden.

Unverhältnismäßiger Eingriff?

Das BAG führt allerdings aus, dass Eingriffe in das allgemeine Persönlichkeitsrecht außerhalb des Kernbereichs der persönlichen Lebensgestaltung auch durch Betriebsvereinbarungen, die die Betriebspartner im Rahmen ihrer Regelungskompetenz abgeschlossen hätten, möglich wären, allerdings müssten diese Eingriffe verhältnismäßig sein.

Verhältnismäßig ist ein Eingriff, wenn er zur Erreichung eines legitimen Zwecks geeignet und erforderlich ist sowie sich als insgesamt angemessen herausstellt.

Zweck ist legitim, aber…

Einen legitimen Zweck erkannte das BAG hier darin, dass den betroffenen Mitarbeitern Gelegenheit gegeben werden sollte, etwaige Vorwürfe im Rahmen eines Gesprächs auszuräumen. Hierbei sollten sie von einem Betriebsratsmitglied unterstützt werden, um die gegenüber der Arbeitgeberseite bestehende strukturelle Unterlegenheit auszugleichen, den Mitarbeitern die Möglichkeit zur Beratung zu geben und ein kontrollierendes Gegengewicht zum Arbeitgeber zu schaffen.

…heiligt dieser sprichwörtlich die Mittel?

Erforderlich ist ein Eingriff, wenn kein gleich geeignetes, milderes Mittel zur Verfügung steht.

Ein solches sah das BAG jedoch darin, dass dem betroffenen Arbeitnehmer ein Recht auf die Hinzuziehung eines bestimmten Betriebsratsmitglieds eingeräumt und er darauf in der Einladung zum Gespräch hingewiesen wird. Der Arbeitnehmer sei ausreichend geschützt, wenn das Initiativrecht, ein Betriebsratsmitglied hinzuzuziehen, bei ihm läge. Dies gelte auch dann, wenn eine Pflicht des Arbeitgebers zur Gesprächsführung mit dem Arbeitnehmer besteht. Das begründet das BAG mit der Regelung des § 81 Abs. 4 S. 3 BetrVG, wonach der Arbeitnehmer

(…) bei der Erörterung ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen kann.“

RBV-Regeln unangemessen

Die Regeln der RBV beeinträchtigen nach Ansicht des BAG das allgemeine Persönlichkeitsrecht des betroffenen Arbeitnehmers so intensiv, dass sie insgesamt unangemessen seien.

Der Arbeitnehmer könne, anders als gesetzlich (§§ 81 Abs. 4 S. 3, 82 Abs. 2 S. 2, 84 Abs. 1 S. 2 BetrVG) vorgesehen, nicht selbst entscheiden, welches Betriebsratsmitglied er als Person seines Vertrauens zum Gespräch hinzuziehen wolle. Entsende der Betriebsrat ein Mitglied, in dessen Gegenwart der Arbeitnehmer – aus welchen Gründen auch immer – das Gespräch mit dem Arbeitgeber nicht führen möchte, habe er nur die Möglichkeit, dieses gänzlich abzulehnen. Dies stehe aber zu dem eigentlichen Ziel der RBV, den Arbeitnehmer zu schützen, in Widerspruch.

Umkehr der Initiativlast

Die Umkehr der Initiativlast für die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds übe Druck auf den Arbeitnehmer aus, wenn dieser sich gegen eine Teilnahme des Betriebsrats am Gespräch entscheiden möchte. Nach dem gesetzlichen Leitbild der §§ 81 Abs. 4 S. 3, 82 Abs. 2 S. 2 BetrVG habe es der Arbeitnehmer selbst in der Hand zu entscheiden, ob er überhaupt ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen will. Die Idee dahinter sei, dass der Arbeitnehmer so nicht in Erklärungszwang gegenüber dem Betriebsrat gerate, wenn er sich gegen dessen Unterstützung ausspricht.

Die in der RBV geregelte Verfahrensweise berge hingegen die Gefahr, dass der Arbeitnehmer die Teilnahme des Betriebsrats aus Angst nur deshalb nicht ablehnt, weil er andernfalls befürchtet, der Betriebsrat könnte annehmen, er bringe ihm kein Vertrauen mehr entgegen.

Für den Arbeitnehmer komme belastend hinzu, dass in der RBV keine Pflicht des am Gespräch teilnehmenden Betriebsratsmitglieds geregelt sei, über dessen Inhalt Stillschweigen zu bewahren.

Regeln des bEM übertragbar?

Das BAG hat zudem geprüft, ob die verfahrensrechtlichen Regelungen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) auf den vorliegenden Fall angewendet werden können.

Gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX darf auch im Rahmen des bEM die Hinzuziehung des Betriebsrats nur mit vorheriger Einwilligung des Arbeitnehmers erfolgen.

Worum es sich bei dem bEM genau handelt? Arbeitgeber sind seit 2004 verpflichtet, länger erkrankten Beschäftigten ein bEM anzubieten, wobei geklärt werden soll, wie eine Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Hilfen einer solchen vorgebeugt werden kann. Ziel ist es, eingegangene Arbeitsverhältnisse möglichst dauerhaft fortsetzen zu können.

Übertragbar seien die Regelungen des bEM gemäß dem BAG damit grundsätzlich nicht – das bEM diene anderen Zwecken als das in der RBV geregelte, typischerweise an ein pflichtwidriges Verhalten anknüpfende Personalgespräch.

Unterrichtungsrechte bedingen keine Einladung

Gemäß §§ 99 Abs. 1 S. 1, 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG stehen dem Betriebsrat Unterrichtungsrechte bei einer etwaigen nachfolgenden Versetzung oder Kündigung des Arbeitnehmers zu. Nach Ansicht des BAG ergebe sich aus diesen jedoch nicht, wie die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zu einem gegebenenfalls im Vorfeld einer solchen personellen Einzelmaßnahme zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer stattfindenden Gespräch ausgestaltet werden kann.

Praxistipp: Die richtige Balance finden

Die Entscheidung des BAG zeigt, dass man sich am besten „in der Mitte“ trifft. Grundsätzlich sind Arbeitnehmer froh darüber, wenn ihnen der Betriebsrat bei einem Gespräch mit dem Arbeitgeber über die Schulter schaut. Das ist jedoch, wie die aktuelle BAG-Entscheidung zeigt, nicht immer der Fall.  Dass der Betriebsrat an einem Personalgespräch teilnimmt kann in der Hinsicht von Vorteil sein, dass der Arbeitnehmer sich unterstützt fühlt und im Zweifel nach dem Gespräch einen Zeugen benennen kann, der die Geschehnisse wahrheitsgemäß wiedergibt.

Andererseits sollte der Arbeitnehmer weiterhin frei entscheiden können, ob er ein Mitglied des Betriebsrats hinzuzieht und um welches es sich handelt.

Das Urteil des BAG ist daher im Ergebnis zu begrüßen, da es die Interessen von Betriebsrat und Arbeitnehmer in einen angemessenen Ausgleich bringt. Am Ende des Tages wollen schließlich alle das Gleiche: Den Arbeitnehmer schützen.

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