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LAG Hamm: Initiativrecht des Betriebsrats bei Einführung technischer Einrichtungen

Das LAG Hamm hat sich mit Beschluss vom 27.07.2021 – 7 TaBV 79/20 gegen die langjährige Rechtsprechung des BAG gestellt und entschieden, dass der Betriebsrat die Einführung einer technischen Kontrolleinrichtung verlangen kann. In dem Fall, den das LAG zu entscheiden hatte, ging es um die Einführung einer elektronischen Arbeitszeiterfassung. Gegen die Entscheidung des LAG Hamm wurde Rechtsbeschwerde zum BAG eingelegt (1 ABR 22/21). Es bleibt also spannend, wie das BAG entscheiden wird, denn die Argumentation des LAG für ein Initiativrecht hat Hand und Fuß.

Langer Streit um das Zeiterfassungssystem

Seit dem Jahr 2017 führten die Arbeitgeberinnen und der Betriebsrat Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zur Arbeitszeiterfassung. Die Betriebsparteien konnten sich nicht einigen. Ende Mai 2018 entschlossen sich die Arbeitgeberinnen, auf die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zu verzichten. Die Lesegeräte, die für die Zeiterfassung notwendig waren, hatten die Arbeitgeberinnen jedoch schon angeschafft. Nachdem die Verhandlungen abgebrochen worden waren, veranlasste der Betriebsrat die gerichtliche Einsetzung einer Einigungsstelle zum Thema „Abschluss einer Betriebsvereinbarung zur Einführung und Anwendung einer elektronischen Zeiterfassung“. In der Einigungsstelle rügten die Arbeitgeberinnen die Zuständigkeit der Einigungsstelle, da nach der Rechtsprechung des BAG (Beschluss vom 28.11.1989 – 1 ABR 97/88) kein Initiativrecht des Betriebsrats bei der Einführung einer technischen Einrichtung bestehe. Die Klärung dieser Frage wurde daraufhin mit dem vorliegenden Verfahren verfolgt.

Wortlaut des Gesetzes: Mitbestimmung erfordert Initiativrecht

Das LAG entschied, dass der Antrag des Betriebsrats begründet war, da ihm gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Initiativrecht bei der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung zusteht. Das Gericht begründete seine Entscheidung insbesondere mit dem Wortlaut des Gesetzes:

§ 87 Abs. 1 BetrVG

Der Betriebsrat hat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht besteht, in folgenden Angelegenheiten mitzubestimmen:

6. Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen.

Als Ausgangspunkt der Argumentation nahm das Gericht das Wort „mitzubestimmen“ im Einleitungssatz des § 87 Abs. 1 BetrVG sowie das Wort „Einführung“ in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Das LAG erläuterte, dass Mitbestimmung im Wortsinne das Recht auf Mitgestaltung im Sinne gleichwertiger Verhandlungspartner beschreibt. Die Ausübung der Mitbestimmung als reines „Vetorecht“, wie es in § 99 Abs. 2 und 3 BetrVG für die personellen Einzelmaßnahme beschrieben ist, kommt nicht in Betracht. Das LAG führte aus, dass es daher der übereinstimmenden Auffassung in Rechtsprechung und Literatur entspricht, dass im Sinne eines Mitgestaltungsrechts grundsätzlich auch dem Betriebsrat die Initiative zukommen kann, in mitbestimmungspflichtigen Angelegenheiten Verhandlungen aufzunehmen und zu verlangen.

BAG: Kein Initiativrecht wegen Abwehrfunktion des Mitbestimmungsrechts

Das LAG Hamm ging insbesondere auch darauf ein, dass das BAG im Beschluss vom 18.11.1989 – 1 ABR 97/88 ein Initiativrecht des Betriebsrats ausdrücklich abgelehnt hatte. Das BAG hatte zur Begründung ausgeführt, dass ein Eingriff in den Persönlichkeitsbereich der Arbeitnehmer durch Verwendung anonymer technischer Kontrolleinrichtungen nur unter Wahrung der Mitbestimmung des Betriebsrats gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zulässig sei. Dem Mitbestimmungsrecht komme damit vor allem eine Abwehrfunktion zu. Dieser Zweckbestimmung würde es widersprechen, wenn der Betriebsrat die Einführung einer solchen Überwachungseinrichtung selbst verlangen könne. Das LAG Hamm wies darauf hin, dass diese Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1989 Kritik in Rechtsprechung und Literatur erfahren habe. Der Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts erfordere jedoch eine andere Interpretation. Das LAG hielt es dabei nicht das vom Betriebsrat vorgebrachte Argument entscheidend, dass der Wandel der Technik und das Verständnis von technischen Kontrolleinrichtungen nicht (mehr) von einem reinen Abwehrrecht zum Schutze der Persönlichkeit der Arbeitnehmer im Mitbestimmungsrecht des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auszugehen sei.

Ebenfalls nicht entscheidungserheblich waren für das LAG europarechtliche Fragestellungen. Genauso wenig spielte für das Gericht der Umstand eine Rolle, dass die Arbeitgeberinnen die „Hardware“, die für die elektronische Zeiterfassung benötigt wird, schon angeschafft hatten. Fragen wie die Kosten der Inbetriebnahme, der Wartung und die Beauftragung durch externe Dienstleister habe die Einigungsstelle bei ihrer Beschlussfassung zu berücksichtigen.

Folgen für die Praxis

Die Entscheidung des LAG Hamm ist insbesondere deshalb brisant, weil sich die Entscheidungsgründe nicht nur auf die Einführung einer elektronischen Zeiterfassung beschränken. Die Beschlussbegründung bezieht sich nämlich auf die Einführung sämtlicher technischen Einrichtungen, die § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterfallen. Da hierunter alle technischen Einrichtungen fallen, die objektiv geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen, könnten Betriebsräte in vielen Fällen Einfluss etwa auf die verwendeten Programme, Betriebssysteme oder IT-Anlagen nehmen – vorausgesetzt das BAG schließt sich in der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde (1 ABR 22/21) dem LAG Hamm an. Die Auswirkungen für die Praxis wären enorm, allein im Hinblick auf die Zeiterfassung. Im Jahr 2020 wurden rund 1,67 Milliarden Überstunden in Deutschland geleistet wurden, wovon mehr als die Hälfte unbezahlt waren. Die Zeiterfassung und genaue Erfassung der Überstunden haben also eine erhebliche Relevanz für viele ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen.

 

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