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SE-Gründung durch Umwandlung: Gilt der mitbestimmungsrechtliche Ist- oder Soll-Zustand?

OLG Frankfurt/Main, Beschluss vom 27.08.2018 – 21 W 29/18

Das OLG Frankfurt/Main stärkt in einer aktuellen Entscheidung die Rechte der Arbeitnehmer bei europäischen Aktiengesellschaften, die durch Umwandlung gegründet wurden.

Hintergrund

Bei der Societas Europaea, kurz auch SE genannt, handelt es sich um eine europäische Aktiengesellschaft. Eine SE kann z.B. gegründet werden, indem eine Aktiengesellschaft nach deutschem Recht (kurz AG) in eine SE umgewandelt wird.

Eine SE wird nicht vom Anwendungsbereich des Drittelbeteiligungsgesetzes (kurz DrittelbG) und des Mitbestimmungsgesetzes (kurz MitbestG) erfasst. Diese Gesetze regeln, dass die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat einer AG vertreten sein müssen, wenn bestimmte Schwellenwerte in Bezug auf die Mitarbeiterzahl erreicht sind (500 bzw. 2000 Mitarbeiter).

Bei der Gründung einer SE sollen derartige Rechte der Arbeitnehmer, die zuvor in der AG zur Anwendung kamen, aber nicht verloren gehen. Deshalb ist der Arbeitgeber verpflichtet, mit den Arbeitnehmern über ihre Beteiligung in der zukünftigen SE zu verhandeln. Die Arbeitnehmer werden hierbei durch das sogenannte besondere Verhandlungsgremium vertreten.

Wird die SE durch Umwandlung gegründet, können Arbeitgeber und besonderes Verhandlungsgremium entweder eine auf „ihre SE“ zugeschnittene Beteiligungsvereinbarung treffen oder – sollte es innerhalb einer bestimmten Frist nicht zu einer Einigung darüber kommen – eine gesetzliche Auffanglösung greift ein. Dies ist im SE-Beteiligungsgesetz (kurz SEBG) geregelt.

Die gesetzliche Auffanglösung sieht in jedem Fall die Gründung eines SE-Betriebsrates vor und, sollten die Arbeitnehmer in der umzuwandelnden AG bereits nach dem DrittelbG oder dem MitbestG im Aufsichtsrat repräsentiert sein, verbleibt es bei der bisherigen Mitbestimmung auf Unternehmensebene. Das Niveau der Unternehmensmitbestimmung bleibt also erhalten (vgl. 35 Abs. 1 SEBG). Es wird letztendlich in die SE übertragen und dort „eingefroren“. Bestand keine Mitbestimmung auf Unternehmensebene, weil die Schwellenwerte des DrittelbG bzw. MitbestG nicht überschritten waren, bleibt es bei diesem Zustand, auch wenn die SE die Schwellenwerte zu einem späteren Zeitpunkt einmal überschreitet.

Unentdeckte Mitbestimmung

Die Regelungen klingen soweit erst einmal recht eindeutig, doch was passiert, wenn in der AG die Schwellenwerte nach dem DrittelbG bzw. dem MitbestG vor der Umwandlung überschritten worden waren, die daraus folgende Arbeitnehmervertretung im Aufsichtsrat aber nicht umgesetzt wird. Der Aufsichtsrat ist dann vor der Umwandlung in die SE faktisch nicht korrekt zusammengesetzt.

Die Entscheidung

Wird eine solche AG nun in eine SE umgewandelt, stellt sich die Frage, ob der gesetzeswidrige Ist-Zustand eingefroren wird oder ob der Soll-Zustand, also die Art der Unternehmensmitbestimmung, die eigentlich schon in der AG hätte umgesetzt werden müssen, nun für die neu gegründete SE gilt.

Das OLG Frankfurt/Main hat sich in seiner Entscheidung vom 27.08.2018 der letzteren Ansicht angeschlossen (OLG Frankfurt am Main, 27.08.2018 – 21 W 29/18). Das Gericht begründet seine Entscheidung im Wesentlichen mit folgenden Argumenten:

Zunächst stützt es auf den Wortlaut der §§ 34 Abs. 1 Nr. 1, 35 Abs. 1 SEBG. Dort heißt es:

㤠34 Besondere Voraussetzungen

(1) Liegen die Voraussetzungen des § 22 vor, finden die Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer kraft Gesetzes nach den §§ 35 bis 38 Anwendung

 im Fall einer durch Umwandlung gegründeten SE, wenn in der Gesellschaft vor der Umwandlung Bestimmungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichts- oder Verwaltungsorgan galten;

(…).“

§ 35 Umfang der Mitbestimmung

(1) Liegen die Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 Nr. 1 (Gründung einer SE durch Umwandlung) vor, bleibt die Regelung zur Mitbestimmung erhalten, die in der Gesellschaft vor der Umwandlung bestanden hat.“

Das Gericht leitet aus dem Wort „Regelung“ in § 35 Abs. 1 SEBG ab, dass es nicht auf den faktischen Mitbestimmungszustand vor der Umwandlung ankommt, sondern auf den Zustand, der nach den für die AG geltenden gesetzlichen Bestimmungen („Regelung“) – auch wenn diese nicht praktiziert wurden – eigentlich hätte angewandt werden müssen.

Zu diesem Schluss kommt das Gericht auch aufgrund des Wortlauts des § 34 Abs. 1 Nr. 1 SEBG, denn dieser stelle auf die geltenden Bestimmungen und damit auf die gesetzlichen Regelungen, die eingreifen müssten, und nicht auf den tatsächlich gelebten Zustand ab.

Das Gericht führt ferner aus, dass eine andere Auslegung dazu führen würde, dass die rechtswidrige Zusammensetzung des Aufsichtsrates, die bei der AG bestand, ansonsten durch die Umwandlung in die SE „zementiert“ würde und den Arbeitnehmern damit faktisch die Möglichkeit abgeschnitten sei, die Zusammensetzung des Aufsichtsrates im Rahmen eines sogenannten Statusverfahrens überprüfen zu lassen. Die Durchführung derartiger Statusverfahren sei aber gerade auch in der SE vorgesehen.

Auch mit geäußerten Bedenken hinsichtlich der Rechtssicherheit setzt sich das OLG auseinander und weist diese zurück, denn der Aufsichtsrat sei erst nach Abschluss des Statusverfahrens neu zusammenzusetzen. Die Beschlüsse des alten, falsch zusammengesetzten Aufsichtsrates bleiben damit wirksam. Eine Rechtsunsicherheit im Hinblick auf vergangene Entscheidungen des Aufsichtsrates geht mit dem Statusverfahren also nicht einher. Vielmehr könne es zu Rechtsunsicherheiten kommen, wenn der gegenteiligen Ansicht gefolgt würde, die allein auf den tatsächlich praktizierten Mitbestimmungszustand abstelle. Wäre nämlich ein eigentlich begründetes Statusverfahren bezüglich der Zusammensetzung des Aufsichtsrates der AG vor der Umwandlung in die SE eingeleitet worden, würde dieses durch die vollzogene Umwandlung erledigt, da der rechtswidrige Zustand eingefroren würde. Es käme also zu einer Art Wettlauf zwischen dem eingeleiteten Statusverfahren und dem Vollzug der Umwandlung. Dies führt nach Ansicht des OLG zu willkürlichen Ergebnissen und damit auch zu Rechtsunsicherheiten.

Folgen

Die Entscheidung hat eine bessere Absicherung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer im Unternehmen bei SE-Gründungen durch Umwandlungen zur Folge, da sie diese Rechte auch für den Fall schützt, dass diese vor der SE-Gründung faktisch nicht ausgeübt wurden.

Aufgrund der Tatsache, dass die Frage nach der Maßgeblichkeit von Ist- oder Soll-Zustand bislang nicht einheitlich beantwortet wird und es keine höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Thematik gibt, bleibt abzuwarten, ob der BGH die Frage eines Tages abschließend klärt und welcher Ansicht er dann folgt. Das OLG Frankfurt/Main geht jedenfalls davon aus, dass das Thema kein Einzelfall ist, sondern sich bei diversen der fast 300 in Deutschland eingetragenen SE stellt. Auch deshalb bleibt die komplexe und spannende Frage praxisrelevant.

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