Was gibt's Neues?

Willkommen in der Matrix - BAG, Beschluss vom 12.06.2019 – 7 ABR 5/18 -

Aus betriebswirtschaftlichen Gründen wenden in den letzten Jahren immer mehr Unternehmen und Konzerne innerhalb ihrer internen Organisation sogenannte Matrix-Strukturen an. Während die neuartigen Matrix-Strukturen die fachlichen Führungsstrukturen einerseits vereinheitlichen sollen, schaffen sie andererseits rechtliche Probleme, da insbesondere das Betriebsverfassungsrecht (noch) nicht hinreichend auf diese Organisationsform ausgelegt ist bzw. noch nicht in allen Facetten geklärt ist, wie die gesetzlichen Bestimmungen in Matrix-Strukturen anzuwenden sind.

Was sind Matrix-Strukturen?

Eine allgemeine Begriffsbestimmung für die Organisationsform der Matrix-Struktur existiert bislang nicht. Kennzeichnend ist jedoch, dass die fachliche und die disziplinarische Führung gegenüber einem/mehreren Arbeitnehmer von unterschiedlichen Personen, die nicht einem Betrieb angehören, ausgeübt werden. Da die vollständige Übertragung des Weisungsrechts auf Personen außerhalb des Vertragsarbeitgebers gegen § 613 S. 2 BGB verstoßen würde, verbleiben meist die disziplinarischen Weisungsrechte, die unter anderem zum Ausspruch von Abmahnung und Kündigungen berechtigen, bei dem Vertragsarbeitgeber, während die fachlichen Weisungsrechte an eine Person, die einem anderen Rechtsträger als dem Vertragsarbeitgeber unterstellt ist, übertragen werden. Auf diese Weise erhält ein in Matrix-Strukturen eingebundener Arbeitnehmer seine fachliche Weisungen betriebs- oder gar unternehmensübergreifend. Es kommt oft vor, dass die einem einzigen Matrix-Manager unterstellten Arbeitnehmer nicht zusammen in einem Betrieb arbeiten.

Betriebsverfassungsrechtliche Probleme

Aus der daraus folgenden Spaltung der Arbeitgeberstellung ergibt sich eine Reihe von betriebsverfassungsrechtlichen Fragen. Bereits der bisherige Betriebsbegriff, welcher der Anknüpfungspunkt der Beteiligungsrechte nach dem BetrVG ist, ist auf Matrix-Strukturen nicht uneingeschränkt anwendbar. Die aufgespaltene Arbeitgeberstellung und die räumlich getrennten Entscheidungsträger widersprechen der allgemeinen Betriebsdefinition des BAG. Danach ist der Betrieb ursprünglich eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgt, wobei die in der Betriebsstätte vorhandenen Betriebsmittel von einem einheitlichen Leistungsapparat gesteuert werden müssen.

Der BAG-Beschluss vom 12.06.2019 – 7 ABR 5/18

Das BAG hat nun mit seinem Beschluss vom 12.06.2019 den Betriebsbegriff in einer Matrix-Struktur modifiziert. In der Sache musste das Gericht über einen Zustimmungsersetzungsantrag bezüglich einer personellen Maßnahme entscheiden.

Das Telekommunikationsunternehmen der antragstellenden Arbeitgeberin hat in Deutschland mehrere Betriebe. Nun wurde ein bereits zuvor am Sitz der Arbeitgeberin beschäftigter Arbeitnehmer zum Bereichsleiter befördert. Während der am Sitz der Arbeitgeberin gebildete Betriebsrat der Maßnahme zustimmte, lehnte der Betriebsrat „Region West“, welcher für die Betriebsstätte R zuständig ist, die Maßnahme hingegen ab und begründete seine Zustimmungsverweigerung damit, dass vor der personellen Maßnahme keine Stellenausschreibung nach § 93 BetrVG erfolgt war. Dies stellt einen Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 5 BetrVG dar. Dem Bereichsleiter und dessen fachlichen Weisungsrecht unterstehen unter anderem zwei Abteilungen, deren Arbeitnehmer überwiegend nicht im Betrieb am Sitz des Unternehmens, sondern in der Betriebsstätte R tätig sind. Es liegt also eine Matrix-Struktur vor.

Ein solches Zustimmungsverweigerungsrecht des Betriebsrats Region West setzt nach § 99 Abs. 1 BetrVG zunächst eine Einstellung bzw. Versetzung in den Betrieb R voraus. Nach ständiger BAG-Rechtsprechung sind diese gegeben, „wenn eine Person in den Betrieb eingegliedert wird, um zusammen mit den dort schon beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Die für eine Einstellung erforderliche Eingliederung in die Betriebsorganisation erfordert nicht, dass der Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem Betriebsgelände oder innerhalb der Betriebsräume verrichtet. Entscheidend ist vielmehr, ob der Arbeitgeber mithilfe des Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des jeweiligen Betriebs verfolgt.Aufgrund der unmittelbaren Position als Vorgesetzter der Abteilungsleiter in der Betriebsstätte R als auch der daraus resultierenden mittelbaren Vorgesetztenposition gegenüber den dort tätigen Arbeitnehmern, hat das Gericht eine Eingliederung des Betriebsleiters in den Betrieb R angenommen. Dies bedeutet nicht nur, dass der betriebsverfassungsrechtliche Betriebsbegriff in Matrix-Strukturen über die Grenzen des räumlich-örtlichen Betriebes hinausgeht, sondern auch, dass ein Arbeitnehmer im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne mehreren Betrieben zugeordnet sein kann: „Der Umstand, dass der Bereichsleiter bereits in den Betrieb der Zentrale eingegliedert ist, steht der Annahme, er werde durch die Wahrnehmung von Vorgesetztenfunktionen auch in den Betrieb West eingegliedert, ebenfalls nicht entgegen. Dem Betriebsverfassungsgesetz lässt sich nicht entnehmen, dass eine Einstellung gemäß § 99 I 1 BetrVG und damit eine Eingliederung nicht gleichzeitig in mehreren Betrieben möglich sein kann.“, führte das BAG aus. Demnach war ein grundsätzliches Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats Region West nach § 99 Abs. 1 BetrVG gegeben.

Gleichwohl lehnte das Gericht in dieser Sache einen Zustimmungsverweigerungsgrund aus § 99 Abs. 2 BetrVG ab und ersetzte gleichzeitig die Zustimmung des Betriebsrats. Zwar war die Ausschreibung der Position des Bereichsleiters – nachdem der Betriebsrat der Zentrale hierauf verzichtet hatte – tatsächlich nicht erfolgt. Nach Ansicht des Gerichts hat die Arbeitgeberin durch die Versetzung des Mitarbeiters jedoch weder einen neuen Arbeitsplatz in der Betriebsstätte R geschaffen, noch eine dortige Stelle neu besetzt, sodass sie zuvor zu keiner Ausschreibung nach § 93 BetrVG verpflichtet war: „Die Entscheidung, in welchem Betrieb der Arbeitsplatz eines betriebsübergreifend tätigen Vorgesetzten in örtlich-räumlicher Hinsicht angesiedelt sein soll, obliegt – als Teil der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit – dem Arbeitgeber. Das Mitbestimmungsrecht nach § 93 BetrVG steht in diesem Fall nur dem Betriebsrat dieses Betriebs und nicht auch dem Betriebsrat des Betriebs zu, in dem die unterstellten Arbeitnehmer tätig sind.“ Damit war der Betriebsrat der Region West in diesem konkreten Fall mit dem von ihm vorgebrachten Zustimmungsverweigerungsgrund aus dem Spiel, auch wenn er grundsätzlich anzuhören war.

Fazit

Auch wenn es sich hier nicht um eine so lebensverändernde Entscheidung, wie zwischen einer blauen und einer roten Pillen aus der bekannten Science-Fiction-Trilogie handelt, sollten Betriebsräte und Arbeitgeber die auf dem Betriebsbegriff in der Matrix-Struktur basierenden Gerichtsentscheidungen im Blick behalten. Wie in dem vorliegenden Fall können die Mitbestimmungsrechte örtlicher Betriebsräte aufgrund von vorhandenen Matrix-Strukturen umfassender und nicht mehr nur auf Angelegenheiten des „eigenen“ Betriebs beschränkt sein. Wie bei der bekannten Filmreihe dürften Fortsetzungen folgen, denn bisher ist noch nicht jeder Winkel im Themenkomplex arbeitsrechtlich vollständig ausgeleuchtet.

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