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Beweisverwertungsverbote in Betriebsvereinbarungen

Die Regelung von sogenannten Beweisverwertungsverboten ist üblicherweise ein zentraler Bestandteil jeder Betriebsvereinbarung zur Regelung der „Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen“. Die Einführung solcher technischen Einrichtungen unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Mitbestimmungspflichtige technische Einrichtungen sind neben Videoüberwachungs- oder Ortungssystemen alle IT-Anwendungen, in deren Funktionsumfang Auswertungsmöglichkeiten enthalten sind, mit denen Rückschlüsse auf ein bestimmtes Verhalten oder eine Leistung von Mitarbeitern ermöglicht werden.

In Betriebsvereinbarungen zur Regelung der Einführung und Anwendung solcher Systeme wird beispielsweise geregelt, welche technischen Funktionen wie verwendet werden sollen und wie die Datensicherheit zum Schutz vor nicht erforderlicher Leistungs- und Verhaltenskontrolle von Mitarbeitern gewährleistet wird. Sinn und Zweck der Mitbestimmung ist es, die Überwachung von Mitarbeitern auf das für die betrieblichen Abläufe und die Durchführung des Arbeitsverhältnisses notwendige Maß zu beschränken und alle darüberhinausgehenden technischen Möglichkeiten der Überwachung zu unterbinden. Oft ist es nicht (oder nur unter erheblichem Kostenaufwand) möglich, technisch vorhandene Überwachungsfunktionen eines Systems abzuschalten, um auf diese Weise nicht erforderliche Überwachungen von Mitarbeitern zu verhindern. In diesen Fällen stellen die Betriebsparteien in Betriebsvereinbarungen Regelungen dazu auf, welche der technisch vorhandenen Überwachungsmöglichkeiten überhaupt verwendet werden dürfen. Außerdem enthalten Betriebsvereinbarungen einschränkende Regelungen zur Art und Weise der Verwendung solcher Funktionen. Schließlich wird in Betriebsvereinbarungen regelmäßig festgelegt, zu welchen Zwecken diese Funktionen und die durch diese Funktionen erlangten Überwachungsergebnisse verwendet werden dürfen.

In diesem Rahmen werden grundsätzlich auch „Verwertungsverbote“ vereinbart. Diese Verwertungsverbote regeln, dass bzw. welche der durch die technische Einrichtung erlangten Informationen über Leistung oder Verhalten von Mitarbeitern nicht gegen den Arbeitnehmer verwendet werden dürfen. Meist ist geregelt, dass die erlangten Informationen in einem etwaigen Gerichtsprozess zwischen Arbeitgeber und Mitarbeiter weder erwähnt noch zum Beweis des Arbeitgebervortrags verwendet werden dürfen. Zum Beispiel dürfen dann Videos aus Videoüberwachungen nicht als Beweismittel für den vom Arbeitgeber vorgetragenen Kündigungssachverhalt verwendet werden. Ausgenommen von diesem „Verwertungsverbot“ sind regelmäßig Überwachungen, die aufgrund eines dokumentierten Anfangsverdachts gegen den Arbeitnehmer zur Aufdeckung einer Straftat stattfinden.

Das BAG hat nun erstmalig darüber entschieden, ob die Betriebsparteien solche Verwertungsverbote in Betriebsvereinbarungen überhaupt wirksam vereinbaren können. Bislang war diese Frage höchstrichterlich ungeklärt. Zuletzt hatte das BAG in seiner Entscheidung vom 31.01.2019 (2 AZR 426/18) ausdrücklich offen gelassen, ob Betriebsparteien Verwertungsverbote zulässigerweise in Betriebsvereinbarungen regeln dürfen. Mit seiner Entscheidung vom 29.06.2023 (2 AZR 296/22) hat das BAG nun festgestellt, dass die Betriebsparteien keine Regelungsmacht für die Festlegung von Verwertungsverboten in Betriebsvereinbarungen haben mit der Folge, dass die Gerichte nicht an die von den Betriebsparteien vereinbarten Verwertungsverbote gebunden sind.

Entscheidungsgründe

Begründet hat das BAG diese Entscheidung hauptsächlich damit, dass den Betriebsparteien die Regelungsmacht fehle, ein über das formelle Verfahrensrecht der Zivilprozessordnung hinausgehendes Verwertungsverbot zu begründen, oder die Möglichkeit des Arbeitgebers wirksam zu beschränken, in einem Individualrechtsstreit Tatsachen über betriebliche Geschehnisse vorzubringen. Die Betriebsparteien seien zwar berechtigt, die betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte auszugestalten und zu erweitern. Sie dürften jedoch nicht in das gerichtliche Verfahren eingreifen. Das dürfe nur der Gesetzgeber. Zu der Befugnis des Gesetzgebers gehöre explizit auch die in §§ 138, 286 Abs. 1 ZPO bestimmte Möglichkeit, Tatsachen in das Gerichtsverfahren einzuführen und unter Beweis zu stellen. Die Betriebsparteien dürfen daher die Gerichte nicht an ihre Verwertungsverbote binden.

Außerdem seien bei einem Verwertungsverbot in der Regel auch vorsätzliche Pflichtverletzungen von Arbeitnehmern der rechtlichen Ahndung entzogen. Diese Vereitelung von Sanktionen schwerer Pflichtverletzungen sei jedoch nicht mit dem in § 2 Abs. 1 BetrVG genannten „Wohl des Betriebs“ als Ziel der Zusammenarbeit zwischen den Betriebsparteien vereinbar.

Zudem komme ein umfassendes Verwertungsverbot faktisch fast einem vertraglichen Verzicht auf eine außerordentliche Kündigung gleich. Denn die außerordentliche Kündigung werde dem Arbeitgeber erheblich erschwert, wenn er keine zuverlässigen Erkenntnisse aus Überwachungsmaßnahmen in den Kündigungsprozess einbringen kann. Ein vertraglicher Verzicht auf die außerordentliche Kündigung sei jedoch nach §§ 134, 626 BGB nichtig. Auch ein Verwertungsverbot, das dem gleichkommt, solle daher unwirksam sein.

Explizit offen lässt das BAG, ob ein Verwertungsverbot für den Arbeitgeber, Erkenntnisse aus einer Überwachungsmaßnahme in einen Kündigungsschutzprozess einzuführen, nicht nur gegen die deutschen Gesetze verstößt, sondern darüber hinaus auch noch unionsrechtswidrig wäre.

Auswirkungen auf die Praxis

Bislang gehörten Verwertungsverbote zu den Standardinhalten von Betriebsvereinbarungen zur Regelung von IT-Systemen, mit denen Arbeitgeber die technische Möglichkeit haben, die Leistung oder das Verhalten von Mitarbeitern zu überwachen. Üblicherweise galten diese Verwertungsverbote nicht bei einem begründeten Verdacht einer durch den Mitarbeiter begangenen Straftat. Auch die Möglichkeit der Verwendung von Erkenntnissen im Falle von vorsätzlichen Pflichtverletzungen von Arbeitnehmern ist in Betriebsvereinbarungen teilweise ausdrücklich zugelassen. In diesen Fällen diente das in der Betriebsvereinbarung geregelte Verwertungsverbot im Ergebnis nur dem Schutz der Mitarbeiter vor übermäßiger Kontrolle bei der Arbeit. Dort, wo Betriebsparteien Regelungen zur Einschränkung der Verwendung technischer Kontrollmöglichkeiten in Betriebsvereinbarungen regeln, um eine überbordende Überwachung von Mitarbeitern bei der Arbeit zu verhindern, hinterlässt der Wegfall der in den Betriebsvereinbarungen geregelten Beweisverwertungsverbote eine Lücke. Wenn Arbeitgeber trotz eines in der Betriebsvereinbarung geregelten Verwertungsverbotes künftig Low-Performance-Kündigungen mit Auswertungen aus IT-Systemen im Prozess begründen und beweisen dürfen, bedarf es neuer Regelungsmechanismen in Betriebsvereinbarungen, um diese Lücke zu schließen.

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