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Die Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten durch Überstundenvergütung

§ 4 Abs. 1 S. 2 TzBfG (basierend auf der am 06.06.1997 geschlossenen Rahmenvereinbarung über Teilzeitarbeit im Anhang der RL 97/81) bestimmt ein Diskriminierungsverbot von Teilzeitbeschäftigten gegenüber Vollzeitbeschäftigten im Hinblick auf das Arbeitsentgelt: Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht (sogenannter pro-rata-temporis-Grundsatz).

In den letzten Jahren standen viele tarifliche Regelungen zur Überstundenvergütung daher in Kritik. Häufig wird in Tarifverträgen geregelt, dass ab einer gewissen Stundenanzahl (beispielsweise 120 Stunden im Monat), der Arbeitnehmer eine Überstundenvergütung erhält, die den normalen Stundenlohn übersteigt. In Tarifverträgen wurde häufig keine Sonderregelung für Teilzeitkräfte getroffen, sodass sie nicht bei einer anteiligen Arbeitszeit eine individuelle Stundengrenze für die Überstundenvergütung überschreiten müssen, sondern auch die für Vollzeitkräfte geltende Stundenzahl für die extra Überstundenvergütung erreichen müssen. Als Teilzeitkraft, die regulär 100 Stunden im Monat arbeitet, ist es jedoch kaum erreichbar, über 120 Stunden im Monat zu arbeiten. Für eine Vollzeitkraft, die im Schnitt 120 Stunden im Monat arbeitet, ist jedoch jede Stunde mehr als die vereinbarte Arbeitszeit automatisch als Überstunde zu vergüten.

Ob durch eine solche Regelung eine Diskriminierung von Teilzeitkräften vorliegt, hat die Rechtsprechung stark beschäftigt. Insbesondere haben die unterschiedlichen Urteile der verschiedenen Senate des BAG für Unsicherheit gesorgt. So urteilte der 6. Senat des BAG im Kalenderjahr 2021 (Urt. v. 15.10.2021 – 6 AZR 253/19), dass es sich nicht um eine Diskriminierung handele. Der 10. Senat des BAG urteilte im Kalenderjahr 2018 (Urt. v. 19.12.2018 – 10 AZR 231/18) jedoch, dass eine Diskriminierung vorliegt.

Urteile des Bundesarbeitsgerichts

Grundsätzlich liegt eine Diskriminierung vor, wenn „wesentlich Gleiches“ bzw. Vergleichbares ungleich behandelt wird und diese Benachteiligung nicht durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt ist.

Der 10. Senat des BAG (2018) entschied, dass eine tarifvertragliche Bestimmung, nach der ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge erst besteht, wenn die für eine Vollzeittätigkeit maßgebliche Stundenzahl überschritten wird, gegen § 4 Abs. 1 TzBfG verstößt. Mehrarbeitszuschläge belohnen die Einbuße der Arbeitnehmer an der Dispositionsmöglichkeit über ihre Freizeit und sollen Arbeitgeber davon abhalten, die Freizeit ihrer Arbeitnehmer in Anspruch zu nehmen. Eine geringere Arbeitszeit darf grundsätzlich nur quantitativ, nicht qualitativ anders vergütet werden als Vollzeitarbeit. Für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte würde eine identische Belastungsgrenze festgelegt, die für Teilzeitbeschäftigte jedoch eine höhere individuelle Belastungsgrenze mit sich brächte.

Hingegen entschied der 6. Senat des BAG (2021), dass die konkrete Regelung des TVöD-K für Kliniken, Teilzeitbeschäftigte nicht diskriminiere. Das läge daran, dass der TVöD-K für die Mehrarbeit von Teilzeitbeschäftigten im Vergleich zu Vollzeitbeschäftigten ein grundsätzlich unterschiedliches Regelsystem schaffe: Bei Teilzeitbeschäftigten ist der Ausgleich in Form von Freizeit vorrangig und erst nachrangig der Ausgleich durch Vergütung. Bei ihnen ist die Erbringung von ungeplanter Mehrarbeit außerdem an ihr Einverständnis geknüpft, das sie für jeden Einzelfall abgeben müssen und wenn es pauschal abgegeben wurde, jederzeit widerrufen können. Vollzeitbeschäftigte sind verpflichtet, Überstunden abzuleisten soweit es erforderlich ist und ihnen sind die Überstunden vorrangig zu vergüten. Durch dieses ausdifferenzierte, parallel verlaufende System sei die Situation von Teilzeit- und Vollzeitkräften nicht mehr vergleichbar und es läge somit keine Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem vor.

Ein neues Urteil des EuGH vom 19.10.2023 – C-660/20 hat nun (hoffentlich endgültig) Klarheit geschaffen: Durch eine starre Stundengrenze für die Überstundenvergütung werden Teilzeitkräfte benachteiligt.

Urteil des EuGH

Dem EuGH wurden von dem Bundesarbeitsgericht zwei verschiedene Fragen vorgelegt:

  1. Ob teilzeitbeschäftigte Piloten benachteiligt werden, wenn sie dieselbe Anzahl Flugdienststunden wie Vollzeitbeschäftigte leisten müssen, um in den Genuss einer Mehrflugdienststundenvergütung zu gelangen.
  2. Ob der mit der tarifvertraglichen Regelung verfolgte Zweck, eine besondere Arbeitsbelastung auszugleichen, eine Benachteiligung von teilzeitbeschäftigten Piloten rechtfertigen kann.

Zur ersten Frage bestätigt der EuGH, dass es sich um eine Benachteiligung handelt. Teilzeitbeschäftigte erreichen die erforderlichen Auslösegrenzen entweder gar nicht oder nur mit deutlich geringerer Wahrscheinlichkeit als Vollzeitbeschäftigte. Bei teilzeitbeschäftigten Piloten führe das, gemessen an ihrer Gesamtarbeitszeit, zu einem längeren Flugstundendienst als bei Vollzeitbeschäftigten und belaste sie in höherem Maße als Vollzeitbeschäftigte. Bei einer solchen starren Stundengrenze komme es für Teilzeitbeschäftigte zu nachteiligen Auswirkungen auf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung.

Zur zweiten Frage stellt der EuGH klar, dass die europäische Teilzeit-Rahmenvereinbarung solchen fraglichen Tarifregelungen in der Regel entgegensteht. Wenn das Ziel einer solchen tariflichen Stundengrenze ist, dass eine besondere Arbeitsbelastung ausgeglichen wird, zweifelt der EuGH an, dass die einheitliche Auslösegrenze angemessen und kohärent ist, um dieses Ziel zu erreichen. Die individuelle Auswirkung der Arbeitsbelastung bleibe so nämlich außer Betracht. Auch das Ziel zu verhindern, dass Arbeitgeber Arbeitnehmer übermäßig zur Arbeit heranziehen, wird so nicht erreicht, da Arbeitgeber die Überstundenvergütung nur jenseits der einheitlichen Grenze die Überstundenvergütung zu zahlen haben. Da zudem die sparsame Personalbewirtschaftung zu Haushaltserwägungen gehört, die eine Diskriminierung nicht rechtfertigen können, könnten auch wirtschaftliche Erwägungen eine Diskriminierung nicht rechtfertigen.

Auswirkungen

Der EuGH macht deutlich, dass, anders als der 6. Senat des BAG im Kalenderjahr 2021 vertrat, die Vergleichbarkeit von Voll- und Teilzeitkräften nicht bereits deshalb ausscheidet, weil die Tarifvertragsparteien ein „eigenständiges Freizeitregime“ für Teilzeitkräfte geschaffen haben und die Mehrarbeit Teilzeitbeschäftigter an deren Einverständnis geknüpft ist. Vielmehr sind in die Vergleichsgruppenbildung im Einklang mit § 4 Abs. 1 Satz 1 iVm § 2 Abs. 1 Satz 3 u. Satz 4 TzBfG grundsätzlich alle vom Geltungsbereich des betreffenden Tarifvertrags erfassten Beschäftigten desselben Arbeitgebers mit gleicher oder gleichwertiger Tätigkeit einzubeziehen. Damit wird eine starre Stundenregelung für die Überstundenvergütung in der Regel – außer es liegt ein sachlicher Grund im Einzelfall vor – zu einer Diskriminierung von Teilzeitkräften führen.

 

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