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Einsatz von Bewerbungsmanagementsysteme – Auswirkungen auf die Frage einer ordnungsgemäßen Unterrichtung im Sinne des § 99 BetrVG

Immer mehr Arbeitgeber setzen bei Einstellungen auf sog. Bewerbungsmanagementsysteme und verweisen im Rahmen der Unterrichtung nach § 99 BetrVG auf die in diesen Systemen bezogen auf die Bewerbenden und ihre Auswahlentscheidung hinterlegten Informationen. Zu der Frage, ob eine Unterrichtung in dieser Form eine ordnungsgemäße Unterrichtung im Sinne des § 99 BetrVG sein kann, hat das LAG Sachsen-Anhalt mit (nicht rechtskräftigem) Beschluss vom 13.10.2022 – 2 TaBV 1/22 – eine bemerkenswerte Entscheidung erlassen. Dazu im Einzelnen:

Was ist ein Bewerbungsmanagementsystem?

In der Regel ermöglichen Bewerbungsmanagementsysteme den arbeitgeberseitig zuständigen Personen mit den sich Bewerbenden zu kommunizieren, sie zu vergleichen und nach gemeinsam festgelegten Kriterien zu bewerten. Regelmäßig bieten entsprechende Systeme die Anlage von sog. Bewerbermappen, in denen für jeden einzelnen sich Bewerbenden u. a. die eingereichten Unterlagen und Notizen/ Kommentare der arbeitgeberseitig beauftragten Personen hinterlegt werden können.

Welche Anforderungen stellt das BAG im Rahmen einer ordnungsgemäßen Unterrichtung an die vom Arbeitgeber dem Betriebsrat zur Verfügung zu stellenden Informationen?

Sinn und Zweck der Unterrichtungspflicht nach § 99 Abs.1 BetrVG ist es, dem Betriebsrat die Prüfung zu ermöglichen, ob ein Grund zur Verweigerung der Zustimmung zu einer personellen Einzelmaßnahme vorliegt. Darüber hinaus soll er in die Lage versetzt werden, Anregungen für die Auswahl der Bewerbenden zu geben und Gesichtspunkte vorzubringen, die aus seiner Sicht für die Berücksichtigung eines anderen als die vom Arbeitgeber ausgewählte sich bewerbende Person sprechen. Das gilt unabhängig davon, ob darauf ein Widerspruch nach § 99 Abs. 2 BetrVG gestützt werden kann (vgl. BAG vom 28.6.2005 – 1 ABR 26/04).

Zu den dem Betriebsrat vorzulegenden Bewerbungsunterlagen aller Bewerbenden gehören grundsätzlich auch solche Unterlagen, die der Arbeitgeber anlässlich einer Bewerbung über die sich bewerbende Person gefertigt hat. Dies sind vor allem Schriftstücke, die der Arbeitgeber allein oder zusammen mit den jeweiligen Bewerbenden erstellt hat, um auf ihrer Grundlage seine Auswahlentscheidung zu treffen, wie etwa Personalfragebögen, standardisierte Interview- oder Prüfungsergebnisse oder schriftliche Protokolle über Bewerbungsgespräche (BAG 14. 12. 2004 – 1 ABR 55/03).

Das BAG hat in seinem Beschluss vom 14.12.2004 – 1 ABR 55/03 ausgeführt, dass „Vorlage” in diesem Zusammenhang bedeute, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Unterlagen für die Dauer der gesetzlichen Entscheidungsfrist tatsächlich zur Verfügung zu stellen und zu überlassen und damit dem Zustimmungsantrag in der Regel beizufügen hat.

Welche Rechtsauffassung vertritt das LAG Sachsen-Anhalt in seinem Beschluss vom 13.10.2022 – 2 TaBV 1/22?

In dem Verfahren vor dem LAG nutze die Arbeitgeberin für die Durchführung von Bewerbungsverfahren ein vom Betriebsrat mitbestimmtes Bewerbungsmanagementsystem. Den Betriebsratsmitgliedern stellte sie zur Erledigung ihrer Aufgaben Laptops zur Verfügung. Ferner räumte sie den Betriebsratsmitgliedern bezogen auf die im Verfahren streitige Einstellung ein uneingeschränktes Einsichtsrecht betreffend die in ihrem Bewerbungsmanagementsystem hinterlegten Unterlagen, Dokumente und Notizen ein. Der Betriebsrat vertrat u. a. die Auffassung, dass eine ordnungsgemäße Unterrichtung im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG nicht erfolgt sei, weil die Arbeitgeberin ihm die Bewerbungsunterlagen aller Bewerbenden nicht ausgehändigt und bis zu seiner Beschlussfassung überlassen, sondern ihn auf seine umfassenden Einsichtsmöglichkeiten in die in digitalisierter Form im Bewerbungsmanagementsystem hinterlegten Unterlagen verwiesen habe.

Das LAG ist zu dem Ergebnis gekommen, dass der Betriebsrat im Zusammenhang mit der beabsichtigten Einstellung inhaltlich ausreichend unterrichtet worden sei. Es begründet dies wie folgt:

„Im „Zeitalter der Digitalisierung“ und der fortschreitenden Organisation möglichst papierfreier Büros“ mache es keinen Unterschied, ob dem Betriebsrat sämtliche Unterlagen in Papierform vorgelegt bzw. überlassen werden oder ob die Betriebsratsmitglieder durch „Vorlage“ von Laptops in die Lage versetzt werden, sich die erforderlichen Informationen zu verschaffen. Entscheidend sei insoweit, dass die Arbeitgeberin eine jederzeitige Möglichkeit für die Betriebsratsmitglieder schaffe, sich die erforderlichen Informationen zu verschaffen.

Der Anspruch des Betriebsrats auf Vorlage von Unterlagen i. S. v. § 99 Abs. 1 BetrVG könne auch durch die Einräumung eines Einsichtsrechts in die im Bewerbungsmanagementsystem hinterlegten Unterlagen ordnungsgemäß erfüllt werden, wenn gewährleistet sei, dass dem Betriebsrat ein uneingeschränktes Zugriffsrecht auf alle digitalisierten Bewerbungsunterlagen und die entsprechend eingepflegten Daten ermöglicht werde.

Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Entscheidung des LAG Sachsen-Anhalt in der Praxis?

Erst einmal keine! Der Beschluss des LAG Sachsen-Anhalt ist noch nicht rechtskräftig. Es bleibt abzuwarten, wie das BAG in dieser Angelegenheit entscheiden wird. Zuletzt hat es mit Beschluss vom 16.08.2011 − 1 ABR 22/10 – bezogen auf eine – allerdings – nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG vorlagepflichtige Information entschieden, dass ein vom Betriebsrat beanspruchter Online-Zugriff auf Dateien die Grenzen des Informationsrechts überschreitet.

Arbeitgebern raten wir daher weiterhin, im Rahmen von § 99 BetrVG die erforderlichen Unterlagen im Sinne der Rechtsprechung des BAG „vorzulegen“. Voraussetzung für die gerichtliche Ersetzung der verweigerten Zustimmung zu einer personellen Einzelmaßnahme nach § 99 Abs. 4 Satz 1 BetrVG ist, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat i. S. von § 99 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BetrVG ordnungsgemäß unterrichtet hat. Die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung darf – unabhängig von den dafür vorgebrachten Gründen – von den Arbeitsgerichten nur ersetzt werden, wenn die Frist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG in Gang gesetzt wurde. Dazu muss der Arbeitgeber die gesetzlichen Anforderungen erfüllt haben (BAG vom 28.6.2005 – 1 ABR 26/04).

Auch Betriebsräte sollten sich im Rahmen Ihrer Mitbestimmungsrechte gemäß § 99 BetrVG aktuell nicht darauf verweisen lassen, das Mitbestimmungsverfahren ausschließlich digital über ein beim Arbeitgeber zum Einsatz kommendes Bewerbungsmanagementsystem laufen zu lassen. Gemäß § 99 Abs. 3 BetrVG erfordert eine ordnungsgemäße Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats, dass er seine Zustimmung unter Angabe von Gründen innerhalb einer Woche nach Unterrichtung durch den Arbeitgeber diesem schriftlich mitteilt. Schriftlich bedeutet an dieser Stelle, dass die Textform des § 126b BGB einzuhalten ist. Diese wird grundsätzlich durch eine Zustimmungsverweigerung in Schriftform, per E-Mail oder per Fax gewahrt.

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