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BSG: Honorar-Pflegekräfte – selbständig oder angestellt?

BSG, Urteil vom 07.06.2019, B 12 R 6/18 R

Wer seinen Alltag nicht mehr alleine bewältigen kann, braucht eine Pflegekraft. Die Menschen werden immer älter, gleichzeitig werden weniger Kinder geboren – Deutschland altert. Der demographische Wandel führt dazu, dass der Bedarf an Pflegekräften stetig wächst. Der Anteil der Menschen, die in einem Heim versorgt werden müssen, wird sich laut einer Studie der Universität Duisburg Essen von 32,8 Prozent im Jahr 2007 auf 37,4 Prozent im Jahr 2020 erhöhen. Damit steigt die Nachfrage nach professionellen Pflegekräften um rund drei Prozent pro Jahr.

Traumberuf Pfleger? Die Realität sieht leider anders aus. Niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen machen die Pflege insbesondere für junge Leute unattraktiv. Darüber, in welche Richtung sich das Berufsbild in Zukunft entwickeln wird, hatte jüngst das Bundessozialgericht zu entscheiden. Können Pflegekräfte, die auf Honorarbasis tätig sind, freie Mitarbeiter sein?

Deutsche Rentenversicherung vs. Seniorenheim

Ein Seniorenheim hatte, um Personalengpässe zu überbrücken, tage- oder wochenweise eine Honorarkraft als Pfleger beschäftigt. Bei ihrer Arbeit trug diese eine eigene Berufskleidung, ein eigenes Namensschild und verdiente etwa 2,5-mal so viel wie die übrigen Pflegefachkräfte.

Prompt gab es Ärger mit der Deutschen Rentenversicherung.

Sozialversicherungspflicht für Pflegekräfte

Das BSG gab der Deutschen Rentenversicherung Recht.

Pflegekräfte, die als Honorarpflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen arbeiten, seien in dieser Tätigkeit regelmäßig nicht als Selbstständige anzusehen, sondern unterlägen als Beschäftigte der Sozialversicherungspflicht.

Die auf Honorarbasis tätige Pflegekraft habe – nicht anders als bei dem Pflegeheim angestellte Pflegefachkräfte – ihre Arbeitskraft vollständig eingegliedert in einen fremden Betriebsablauf eingesetzt und sei nicht unternehmerisch tätig gewesen.

Tätigkeit auf Honorarbasis – was heißt das konkret?

Wer auf Honorarbasis arbeitet, ist als freier Mitarbeiter selbstständig und nicht an Weisungen des Arbeitgebers gebunden. In der Medien- und Werbebranche kennt man solche Leute als Freelancer. Das Arbeitsverhältnis wird durch einen Dienst- oder Werkvertrag ausgestaltet. Der Unterschied zum Freiberufler liegt darin, dass letzterer seiner Arbeit sowohl selbstständig als auch angestellt nachgehen kann.

Großer Vorteil einer Tätigkeit auf Honorarbasis ist, dass man flexibel und unabhängig arbeitet. Von Nachteil ist hingegen, dass man vieles von dem, was einem eigentlich der Arbeitgeber abnimmt, selbst erledigen muss. Insbesondere um die Sozialversicherungen und Steuern muss man sich selbst kümmern. Ein Organisationstalent zu sein kann also nicht schaden.

Keine unternehmerische Freiheit in der Pflege

Das BSG weist in seiner Pressemitteilung auf § 7 Abs. 1 SGB IV hin. Danach ist unter Beschäftigung die

„(…) nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis zu verstehen. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Einglie- derung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

Sind auf Honorarbasis Tätige also selbstständig oder nicht?

Um beurteilen zu können, ob jemand sozialversicherungspflichtig ist oder nicht, seien nach Ansicht des BSG auch regulatorische Vorgaben miteinzubeziehen. Dies gelte trotz der Tatsache, dass weder der Versorgungsauftrag einer stationären Pflegeeinrichtung noch die Regelungen über die Erbringung stationärer Pflegeleistungen nach dem SGB XI oder das Heimrecht des jeweiligen Landes eine zwingende übergeordnete Wirkung hinsichtlich des sozialversicherungsrechtlichen Status von Pflegefachkräften hätten.

Regulatorische Vorgaben, zum Beispiel von einem Seniorenheim, würden im Regelfall dazu führen, dass die Pflegefachkräfte in die Organisations- und Weisungsstruktur der stationären Pflegeeinrichtung eingegliedert werden. Unternehmerische Freiheiten seien bei der konkreten Tätigkeit in einer stationären Pflegeeinrichtung kaum denkbar.

Selbstständigkeit könne nur ausnahmsweise angenommen werden. Hierfür müssten gewichtige Indizien sprechen. Bloße Freiräume bei der Aufgabenerledigung, zum Beispiel ein Auswahlrecht der zu pflegenden Personen oder bei der Reihenfolge der einzelnen Pflegemaßnahmen, reichten hierfür nicht.

… und der Fachkräftemangel?

Ändert daran nichts: Die sowohl der Versichertengemeinschaft als auch den einzelnen Versicherten dienenden sozialrechtlichen Regelungen zur Versicherungs- und Beitragspflicht könnten auch in sogenannten Mangelberufen nicht ausgesetzt werden, um die Attraktivität des Berufs zu steigern, indem man eine von Sozialversicherungsbeiträgen „entlastete“ und deshalb höhere Entlohnung ermöglicht.

Parallele zu Honorarärzten

Dass auch Honorar-Pflegekräfte sozialversicherungspflichtig sind, ist tatsächlich keine Überraschung. Wenige Tage vor seinem Urteil hat das BSG nämlich entschieden, dass auch Honorarärzte sozialversicherungspflichtig sind (Az. B 12 R 11/18 R).

Honorarärzte seien regelmäßig wegen des hohen Organisationsgrades eines Krankenhauses eng in die dortigen Arbeitsabläufe eingebunden. Ein eigener unternehmerischer Einfluss würde dabei nicht verbleiben.

Das Urteil wurde von den Krankenhäusern vergleichsweise schlecht aufgenommen. Da Honorarärzte kurzfristig und zeitlich flexibel eingesetzt werden können, sind sie insbesondere im ländlichen Raum beliebt. Kleinere Krankenhäuser, die sich nicht im städtischen Raum befänden, stünden nun vor dem Aus. Zusätzliche Abgaben an die Sozialversicherung zu leisten, sei für viele einfach zu teuer. Das erleichtere die ohnehin schon nicht ganz einfache ärztliche Versorgung auf dem Land nicht gerade.

Praxistipp oder „… was nun“?

Die Urteile des BSG zur Frage der Selbstständigkeit von Honorarärzten- und Pflegekräften haben Wellen geschlagen. Sowohl Mediziner als auch Juristen erwarten weitreichende Folgen für den Arbeitsmarkt.

Denn, um es noch einmal zusammenzufassen, eine nur kurzfristige Beschäftigung, eigene Berufskleidung oder Zuschläge auf den Lohn reichen für eine selbstständige Beschäftigung nicht aus. Wer als selbstständig gelten will, muss eine ganze Reihe von Indizien nachweisen können, etwa

  • dass er eigene Betriebsmittel einsetzt,
  • ein unternehmerisches Risiko eingeht
  • und nicht in die bestehende Arbeitsorganisation eingegliedert ist.

In Gesundheitsberufen wird dies kaum möglich sein.

Wer Honorarkräfte beschäftigt hat, muss sich jetzt auf nicht unerhebliche Nachforderungen seitens der Sozialversicherungen einstellen. Pflegeheime trifft es dabei härter als Krankenhäuser: Ärzte sind häufig von der Renten- und auch Krankenversicherungspflicht befreit, für Pflegepersonal gilt das nicht.

Aus Sicht des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe würden Honorarkräfte in der Praxis jedoch weniger eingesetzt als man es tatsächlich vermutet. Viele Arbeitgeber hätten in der Vergangenheit hohe Nachzahlungen leisten müssen und seien daher das Risiko nicht mehr eingegangen. Kritisiert wurde, dass es sich bei den Honorarkräften um sehr gut ausgebildete Fachkräfte gehandelt hätte, die nicht in ein Angestelltenverhältnis zurück wollten. Diese würden ihr Glück vermutlich nun woanders suchen.

Dank der aktuellen BSG-Rechtsprechung gibt es immerhin endlich Rechtssicherheit im sozialrechtlichen Umgang mit Gesundheitspersonal. Und man hat sich teilweise bereits vorbereitet: Schon jetzt setzen Krankenhäuser vermehrt auf Arbeitnehmerüberlassung und Zeitarbeit. Die Klinikgruppen Asklepios und Helios erwarten daher kaum Auswirkungen auf ihre Betriebe.

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