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LAG Köln vom 06.08.2021 – 9 TaBV 26/21

Einigungsstelle über Beschwerde: Begriff des Rechtsanspruchs

Eine Einigungsstelle, die über die Beschwerde einer Arbeitnehmerin entscheiden soll, darf nur entscheiden, soweit der Gegenstand der Beschwerde kein Rechtsanspruch ist. Aber wie ist diese Einschränkung zu verstehen? Ist sie eher eng oder eher weit auszulegen? Das BAG konnte sich mit dieser Frage noch nicht befassen, weshalb ein Blick auf die gegenläufigen Auffassungen spannend ist – insbesondere da sich das LAG Köln (vom 06.08.2021 – 9 TaBV 26/21) zuletzt ausdrücklich gegen die Entscheidung des LAG Hessen (vom 16.05.2017 – 4 TaBV 75/17) gestellt hat.

Beschwerde der Bürokraft des Betriebsrats

Der Entscheidung des LAG Köln lag die Beschwerde einer Arbeitnehmerin zugrunde, die Bürokraft des Betriebsrats war. Die Arbeitnehmerin hatte eine Abmahnung der Arbeitgeberin erhalten, weil sie ihre Arbeitsunfähigkeit lediglich dem Betriebsratsvorsitzenden, jedoch nicht der Personalabteilung angezeigt hatte. Die Arbeitnehmerin beschwerte sich beim Betriebsrat darüber, dass sie sich durch die Arbeitgeberin ungerecht behandelt und beeinträchtigt fühlte, da sie bei einer Arbeitsunfähigkeit zwei Stellen kontaktieren müsse. Denn den Vorsitzenden des Betriebsrats habe sie in jedem Fall zu informieren, da er die Arbeit im Betriebsratsbüro dann anders organisieren müsse.

Der Betriebsrat beschloss, die Beschwerde der Arbeitnehmerin für berechtigt zu erachten und die Einigungsstelle einzusetzen. Das Arbeitsgericht setzte die Einigungsstelle ein, wogegen sich die Arbeitgeberin in der Beschwerdeinstanz beim LAG Köln wandte. Die Arbeitgeberin hielt die Einigungsstelle für offensichtlich unzuständig, da es sich bei dem Beschwerdegegenstand um eine Rechtsfrage handele. Eine solche könne in der Einigungsstelle nicht behandelt werden. Der Betriebsrat war jedoch der Auffassung, die Arbeitnehmerin mache geltend, dass sie sich durch die Auswirkung der Weisung, eine Arbeitsunfähigkeit der Personalabteilung vor Arbeitsbeginn anzeigen zu müssen, beeinträchtigt zu fühlen. Dies betrachte sie als ungerechte Behandlung.

LAG Köln: Enges Verständnis des Begriffs „Rechtsanspruchs“

Das LAG Köln hielt die Beschwerde der Arbeitgeberin für begründet und entschied, dass die Einigungsstelle für die Beschwerde der Arbeitnehmerin offensichtlich unzuständig im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ist. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Gegenstand der Beschwerde ein Rechtsanspruch ist, den die Einigungsstelle gem. § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG nicht behandeln darf. Die Lösung eines Konflikts durch die Einigungsstelle könne aus rechtsstaatlichen Gründen nicht in den Fällen erfolgen, in denen eine Beschwerde eine rechtliche Auseinandersetzung zum Gegenstand hat. Denn in einem solchen Fall dürfe weder der Arbeitgeberin noch der Arbeitnehmerin der Rechtsweg abgeschnitten sein. Zur Durchsetzung von Rechtsansprüchen dient allein der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten.

Das Gericht bewertete die Beschwerde der Arbeitnehmerin dahingehend, dass der Arbeitgeberin wenigstens zukünftig die Befugnis genommen werden solle, ihr entsprechende Verpflichtungen bei Arbeitsunfähigkeit aufzuerlegen und sie wegen Nichtbefolgung der Anweisung abzumahnen. Könnte die Einigungsstelle hierüber entscheiden, würde der Arbeitgeberin das von Rechtsprechung und Literatur zugewiesene Recht genommen werden, diese Stelle zu bestimmen.

LAG Hessen: Einigungsstelle zu schwer konkretisierbaren Pflichten

Das LAG Köln befasste sich ausdrücklich mit der Auffassung des LAG Hessen, das in zwei Entscheidungen (vom 16.05.2017 – 4 TaBV 75/17; vom 03.03.2009 – 4 TaBV 14/09) den Begriff des Rechtsanspruchs im Sinne von § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG einschränkend auslegte. Das LAG Hessen vertrat die Auffassung, dass der Begriff des Rechtsanspruchs eingeschränkt auszulegen sei, wenn Gegenstand der Beschwerde ein Spruch ist, der auf regelmäßig nur schwer konkretisierbaren Pflichten der Arbeitgeberin beruht, etwa deren Fürsorgepflicht oder deren Verpflichtung zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und zur Wahrung billigen Ermessens. Bei diesen handelt es sich nach dem LAG Hessen um Rechtsansprüche im weiteren Sinne, die nur schwer justiziabel sind und mit denen regelmäßig auch nicht justiziable Regelungsfragen angesprochen werden, die nicht Gegenstand von Rechtsansprüchen werden können und die im Rahmen eines Einigungsstellenverfahrens nicht selten innerbetrieblich sinnvoller geregelt und geschlichtet werden können als im Rahmen eines Rechtsstreits (LAG Hessen vom 03.03.2009 – 4 TaBV 14/09 m. w. N.).

Dieser Auffassung trat das LAG Köln entgegen, das den vorliegenden Fall zu entscheiden hatte. Es erläuterte, dass diese Auffassung nicht nur unzureichend den Sinn und Zweck der Ausschlussnorm berücksichtige, sondern zudem die Grenzen der gerichtlichen Überprüfung verwische. Denn ob Arbeitgeberpflichten „schwer konkretisierbar“ sind, lässt sich regelmäßig nicht an Hand objektiver Kriterien ermitteln, sondern hängt weitgehend von der subjektiven Einschätzung des Gerichts ab. Sähe man in der Beschwerde der Arbeitnehmerin nicht die Geltendmachung eines Rechtsanspruchs, hätte dies zur Folge, dass die Einigungsstelle gegebenenfalls gegen die Stimme der Arbeitgeberin festlegen könnte, dass sich die Arbeitnehmerin bei einer Erkrankung nicht vor Dienstbeginn bei der von der Arbeitgeberin benannten Stelle melden müsse. Damit würde das von der Arbeitgeberin für sich in Anspruch genommene und ihr von Rechtsprechung und Literatur zugewiesene Recht, diese Stelle zu benennen, ausgeschlossen. Da der Spruch der Einigungsstelle die Arbeitgeberin gegenüber dem Betriebsrat binden würde, könnte diese dann auch in einem Rechtsstreit mit der Arbeitnehmerin nicht mehr auf ihrem Rechtsstandpunkt beharren, ohne betriebsverfassungswidrig zu handeln. Dies würde jedoch dem Zweck des § 85 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zuwiderlaufen, aus rechtsstaatlichen Gründen weder dem Arbeitgeber noch dem Arbeitnehmer den Rechtsweg abzuschneiden.

Praxishinweis

Die Entscheidung des LAG Köln wird der Stimmung im Betrieb wahrscheinlich nicht zuträglich gewesen sein. Dass die Beschwerde von der Bürokraft des Betriebsrats eingereicht wurde, lässt vermuten, dass es noch andere, tiefgreifendere Konflikte im Betrieb gibt. Gerade in solchen Fällen ist eine innerbetriebliche Klärung und Lösung oftmals zielführender als eine gerichtliche. Genau diesen Punkt hatte auch der Gesetzgeber im Blick. Diese Lösungsmöglichkeit schneidet das LAG Köln den Betriebsparteien ab. Bis zu einer Entscheidung des BAG wird es deshalb vermutlich nicht selten zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung darüber kommen, ob eine Einigungsstelle über eine Beschwerde eingesetzt werden kann oder ob die Beschwerde einen Rechtsanspruch zum Gegenstand hat. Umso wichtiger ist es, eine einvernehmliche Lösung zu erzielen, die allen Beteiligten Kosten, Zeit und Aufwand erspart.

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